Serie zur Stadtgeschichte Schwerins (Teil 9)
Schwerin in der Weimarer Republik
Schwerin, vor 850 Jahren von Heinrich dem Löwen gegründet, präsentiert sich heute als Stadt mit unverwechselbarem Flair. Als „Stadt der Seen und Wälder“ besang sie einst der Gelehrte Friedrich Lisch. Heute ist die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns wegen ihres märchenhaften Schlosses, der wunderschönen Gärten und ihrer einmaligen Kunstschätze ein Anziehungspunkt für Besucher aus Nah und Fern. In einer 12-teiligen Serie erzählen wir die Geschichte der Jubilarin. Autor ist Bernd Kasten, Leiter des Schweriner Stadtarchivs.
Bürger nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand
Einer der wichtigsten Wendepunkte in der Schweriner Stadtgeschichte war zweifellos die Revolution im November 1918. Die Residenz war nun keine Residenz mehr, der Fürst geflohen, das Schloss verwaist, die Untertanen ohne Landesvater. Viele blickten mit Angst auf die neue Zeit. Bürgermeister Saschenbrecker meinte, „daß wir als Stadt mit dem Wegzug des Fürstenhauses unendlich viel verloren haben, … das ganze Leben der Stadt wird eine starke Beeinträchtigung erfahren.“ Andere waren von Tatendrang erfüllt. Ministerpräsident Wendorff geißelte 1919 im Landtag die „alte Regierung, die sich mit Hand und Fuß dagegen gesträubt hat, Schwerin aus der stillen, um nicht zu sagen aus der stickigen Hofstadtluft herauszuheben und zu einer Stadt modernen Geistes und industrieller Entwicklung zu machen“. Schon im März 1919 beschloss der neue Landtag als eine seiner ersten Maßnahmen, den Bau der Hafenbahn zur Errichtung eines Industriegeländes am Ziegelinnensee mit 190 000 Mark zu fördern.
Eine demokratische Stadtverfassung ermöglichte es nun den Bürgern, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Und erstmals waren auch die besitzlosen Arbeiter an der Regierung der Stadt beteiligt. Bis 1933 stellten die Sozialdemokraten stets mindestens einen, oft auch zwei Stadträte. Eine nicht immer spannungsfreie, aber doch meist recht einvernehmliche große Koalition von SPD und bürgerlichen Parteien steuerte die Kommune durch die Stürme der Zeit. Nicht alle Träume ließen sich freilich realisieren. Vor allem waren die von Wirtschaftskrisen gebeutelten zwanziger Jahre keine gute Zeit für die Ansiedlung von Industrie. Die meisten der am Ziegelinnensee oder in Görries neu gegründeten Betriebe gingen nach wenigen Jahren wieder Bankrott. Auf der anderen Seite wuchs die Ministerialbürokratie erheblich. Gab es 1914 nur 137 Beamte in den Ministerien, so hatte sich ihre Zahl 1921 auf 236 vermehrt. Schnell reichten die vorhandenen Büroräume nicht mehr aus. Der Nordische Hof (heute Finanzministerium), das erst 1911 errichtete erste Hotel am Platze mit 60 Zimmern, wurde nun von der Regierung genutzt.
Alles in allem kam die Residenz über den Verlust ihres Fürsten überraschend leicht hinweg. Zwischen 1919 und 1933 nahm die Bevölkerung um mehr als 10 000 Menschen zu. Mit über 24 Prozent fiel der Zuwachs damit sogar deutlich dynamischer aus als in Rostock.