Serie zur Stadtgeschichte Schwerins (Teil 6)
Schwerin in der Franzosenzeit
Schwerin, vor 850 Jahren von Heinrich dem Löwen gegründet, präsentiert sich heute als Stadt mit unverwechselbarem Flair. Als „Stadt der Seen und Wälder“ besang sie einst der Gelehrte Friedrich Lisch. Heute ist die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns wegen ihres märchenhaften Schlosses, der wunderschönen Gärten und ihrer einmaligen Kunstschätze ein Anziehungspunkt für Besucher aus Nah und Fern. In einer 12-teiligen Serie erzählen wir die Geschichte der Jubilarin. Autor ist Bernd Kasten, Leiter des Schweriner Stadtarchivs.
Schwerin in der Franzosenzeit
Am 3. November 1806 durchquerten die geschlagenen Truppen des Generals Blücher Schwerin auf dem Rückzug nach Lübeck. Ihnen folgten die Franzosen, die am folgenden Tag die Stadt besetzten. Der Magistrat versuchte vor allem, die Altstadt zu schützen. Während hier in den folgenden Monaten nicht weniger als sechs Marschälle und 36 Generäle beherbergt und aufs Beste bewirtet wurden, versuchten die Senatoren das Gros der französischen Armee durch die Versperrung der Tore auf die Vorstadt zu beschränken. Sie vertraten den Standpunkt, „daß man lieber die Vorstadt preis geben müsse, wenn nur dadurch die Stadt conservirt werden könne“. Die Strategie war recht erfolgreich. Die Anwesenheit der vielen hohen Offiziere sorgte in der Altstadt für eine gewisse Ordnung. Jenseits der Stadtmauern hingegen begann ein rechtsfreier Raum, in dem die Soldaten „an den sich selbst überlassenen armen vorstädtischen Bewohnern die grausamsten und unerhörtesten Excesse begingen“. Lebensmittel wurden verzehrt, Möbel als Feuerholz genutzt und buchstäblich alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war. Die Soldaten der Grande Armée hatten für alles Verwendung. Neben Bargeld, silbernen Löffeln und Stiefeln wurden auch Bettücher, Hemden. Strümpfe und Frauenkleider mitgenommen. Verschont wurde niemand. So reklamierte die alte Witwe Hinzpeter den Verlust ihrer gesamten Ersparnisse von 29 Rtl., „einige Thaler Geld auf mein hohes Alter, wenn ich gar nicht mehr arbeiten könnte, auch einige Thaler für mein Kindes Kind“.
Selbst nachdem die wilden Plünderungen der ersten Wochen vorüber waren, hatte die Stadt schwer unter der Besetzung zu leiden. Mecklenburg gehörte jetzt zum französischen Machtbereich. Große Truppenverbände durchquerten Mecklenburg und nicht wenige nahmen für Tage oder Wochen auch in Schwerin Quartier. Zum Glück für die Stadt waren die französischen Offiziere bestechlich. Der Adjutant des franzosischen Gouverneurs zeigte sich im Mai 1807 bereit, gegen Zahlung von 500 Louis d´or die Einquartierungslast deutlich zu verringern.
Nach der französischen Niederlage in Russland drohte dann auch Mecklenburg zum Kriegsschauplatz zu werden. Am 23. August 1813 besetzte der französische Marschall Davoût an der Spitze einer 30.000 Mann starken Armee die Stadt Schwerin. Diejenigen, die keinen Platz mehr in den Häusern fanden, kampierten in einem großen Lager am Neumühler Weg. Die gewaltige Heerschar mit ihren vielen tausend Pferden musste versorgt werden. Davoût drohte offen damit, französische Husaren ausschwärmen zu lassen: „Das ganze Land wird verheert, wird zur Wüste werden“. Da zogen es die örtlichen Behörden doch lieber vor zu kooperieren. Gewaltige Mengen von Kartoffeln, Getreide, Stroh, Heu und Schlachtvieh wurden aus den umliegenden Dörfern und Gütern zu den zentralen Magazinen nach Schwerin transportiert. Erst der Abzug der Armee am 2. September 1813 beendete dann endgültig die Franzosenzeit in Schwerin.
Michaela Christen